Ist Scrum tot? Warum agile Methoden so oft Projekte scheitern lassen
- Frederick King
- 30. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juli

Der agile Traum bröckelt
"Wir sind agil" – dieser Satz ziert fast jede Projektbeschreibung, Broschüre und Stellenausschreibung. Agile Methoden wie Scrum wurden zur Standardempfehlung für Projektmanager, Entwickler und das Management.
Doch in der Praxis zeigt sich leider eine andere Realität: Sprint folgt auf Sprint, ohne echten Fortschritt. Meetings werden zum Selbstzweck. Entscheidungen bleiben aus. Teams sind erschöpft. Stakeholder sind frustriert. Immer mehr Unternehmen stellen sich die Frage: Funktioniert Scrum überhaupt?
Doch die Methode selbst ist selten das Problem. Was fehlt, ist das Verständnis für den kulturellen Wandel, den Scrum und agile Methoden voraussetzen. Dieser Artikel zeigt, warum viele Scrum-Implementierungen scheitern, was dahintersteckt und wie eine Rückbesinnung auf agile Prinzipien helfen kann.
Kurzes Recap: Was ist Scrum noch mal?
Scrum ist ein Framework zur Entwicklung, Lieferung und Wartung komplexer Produkte. Es wurde entwickelt, um maximale Transparenz, schnelle Feedback-Zyklen und kontinuierliche Verbesserung zu ermöglichen. Scrum wird oft in der Software-Entwicklung eingesetzt, findet aber mittlerweile auch Einzug in viele andere Projektbereiche.
Zentrale Rollen
Product Owner: Verantwortlich für die inhaltliche Richtung, priorisiert das Backlog und stellt den Wertbeitrag sicher.
Scrum Master: Schützt das Team vor Störungen, moderiert Scrum-Prozesse, treibt kontinuierliche Verbesserung voran.
Entwicklungsteam: Selbstorganisierte Einheit mit allen Fähigkeiten zur Lieferung eines fertigen Produktinkrements. Wird oftmals als Cross-Funktionales Team besetzt, sodass das Team seine Herausforderungen selbst lösen kann.
Kernprinzipien
Empirie: Entscheidungen basieren auf Analysen und Beobachtungen, nicht auf Spekulationen.
Selbstorganisation: Teams treffen operative Entscheidungen selbst.
Iteratives Arbeiten: Komplexität wird durch kurze Bearbeitungs- und Feedback-Zyklen beherrschbar.
Transparenz: Alle Beteiligten haben Zugang zu denselben Informationen.
Scrum ist kein detaillierter Projektplan, sondern ein Rahmen zur Zusammenarbeit in komplexen Umfeldern. Doch diese Offenheit wird häufig fehlinterpretiert.
Die „agile“ Realität in Unternehmen
Viele Unternehmen führen Scrum ein, um sich als modern und innovativ zu positionieren. Die Methode wird implementiert, ohne sie in die Unternehmenskultur einzubetten. Dies führt besonders in alten und sehr großen Unternehmen zu Folgeproblemen.
Typische Missverständnisse:
Scrum-But: "Wir machen Scrum, aber..." – ein Leitsatz für halbgare Umsetzungen. Retrospektiven werden gestrichen, Backlogs bleiben ungepflegt, die Scrum-Master-Rolle wird nebenbei erledigt.
Command & Control bleibt erhalten: Trotz Scrum bleiben Entscheidungsmacht und Kontrolle beim Management. Teams sollen selbstorganisiert arbeiten, bekommen aber keine oder nur wenig Entscheidungsspielräume.
Unklare Verantwortlichkeiten: Der Product Owner ist gleichzeitig Projektleiter, Teamleiter und Budgetverantwortlicher. Die Rollen werden vermischt, Verantwortlichkeiten bleiben diffus und am Ende bleibt alles an einem "Verantwortlichen" hängen, der aber nichts entscheiden darf.
Falsche Erfolgskriterien: Statt Kundennutzen wird die Geschwindigkeit gemessen. Die Umsetzungsgeschwindigkeit wird zur zentralen Steuerungsgröße, während Wertschöpfung zweitrangig bleibt.
Diese Missverständnisse führen zu einer Situation, in der zwar agile Begriffe genutzt werden, aber das Verhalten weiterhin dem einer Wasserfallorganisation entspricht. Oftmals entstehen hierdurch auch schwer handhabare hybride Projektmanagementmethoden, die das Management (kurzfristig) glücklich machen, aber nicht umsetzungsorientiert sind.
5 Gründe warum Scrum so oft scheitert
1. Kulturveränderung bleibt aus
Agil arbeiten heißt: Offenheit für Feedback, Bereitschaft zur Verantwortung, konstruktiver Umgang mit Fehlern und aktiv selbst Entscheidungen treffen. Diese Kultur muss wachsen. Wird Scrum eingeführt, ohne eine Fehlerkultur zu etablieren oder Entscheidungsbefugnisse neu zu verteilen, bleibt die Methode wirkungslos.
2. Scrum wird als Prozess, nicht als Denkmodell verstanden
Scrum ist kein linearer Ablaufplan. Es ist ein Rahmen, der Flexibilität und Orientierung bieten soll. Wird Scrum dogmatisch angewendet, ohne auf die Bedürfnisse des Teams einzugehen, entsteht Frust statt Produktivität.
3. Rollen sind falsch oder schwach besetzt
Der Product Owner hat oft keine Entscheidungskompetenz, ist fachlich überfordert oder organisatorisch isoliert. Der Scrum Master wird als Protokollführer degradiert, statt als Change Agent wirksam zu werden. Das Team ist nicht cross-funktional aufgestellt, sodass es seine eigenen thematischen Herausforderungen nicht von selbst lösen kann. Diese strukturellen Schwächen verhindern Agilität.
4. Fehlende Produktvision
Scrum braucht ein Ziel. Ohne eine motivierende Produktvision fehlt dem Team die Orientierung. Aufgaben werden mechanisch abgearbeitet, ohne echten Bezug zum Kunden oder Markt. Die Folge: geringe Motivation und inkrementeller Stillstand.
5. Scrum wird zum Selbstzweck
Wenn Meetings, Artefakte und Rollen nur noch der Einhaltung des Frameworks dienen, statt dem Produkterfolg, verkommt Scrum zur bloßen Bühne. Das eigentliche Ziel – nutzbringende Produkte – gerät aus dem Blick.
Aber ist Scrum wirklich tot?
Scrum ist nicht tot, aber es wird oft falsch interpretiert, verkürzt oder institutionell entkernt. Die Rückkehr zu den Prinzipien erfordert Mut zur echten Delegation, zur Lernbereitschaft, zur Dezentralisierung von Entscheidungen.
Es scheitert daher der Versuch, komplexe Probleme mit einer Methode zu lösen, die nur halbherzig eingeführt und umgesetzt wurde. Agile Methoden funktionieren genauso wie klassische Projektmethoden, wenn sie richtig verstanden und angewendet werden.
Ein wichtiges Werkzeug, was leider wenig Beachtung in diesem Kontext bekommt, ist die Stacey-Matrix. Sie hilft Entscheidern und Projektmanagern die richtige Projektmanagementmethode für ihr jeweiliges Projekt zu finden. In einem älteren Blogbeitrag von mir habe ich das Thema näher beleuchtet.
Was Organisationen ändern können (wenn sie wollen)
1. Agile Haltung fördern, nicht nur Praktiken
Scrum ist kein Set von Werkzeugen, sondern Ausdruck einer Haltung. Diese Haltung umfasst Offenheit, Vertrauen, Respekt, Mut und Fokus. Unternehmen müssen diese Werte fördern und sichtbar machen, vor allem auf der Führungsebene.
2. Scrum-Rollen wirksam etablieren und leben
Ein Product Owner braucht den Rücken des Managements und die Kompetenz, strategisch zu denken und zu entscheiden. Der Scrum Master muss Schutzraum schaffen und Veränderung einfordern dürfen. Teams müssen fachlich und sozial so ausgestattet sein, dass sie echte Verantwortung tragen können, um Entscheidungen im Team zu treffen.
3. Wert statt Geschwindigkeit messen
Wichtiger als die Anzahl der erledigten Aufgaben ist der Wert, der für den Kunden geschaffen wird. Das erfordert eine enge Verzahnung mit dem Markt, qualitative Messkriterien und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Produkt.
4. Führungskräfte als Ermöglicher verstehen
Statt Kontrolle auszuüben, müssen Führungskräfte Hindernisse beseitigen, Teams coachen und Vertrauen schenken. Sie definieren Rahmenbedingungen und lassen innerhalb dieser Grenzen autonome Entscheidungen zu. Micro-Manager sind daher fehl am Platz.
5. Scrum bewusst anpassen und reflektieren
Es ist gut, wenn Unternehmen Scrum-Elemente an sich anpassen, solange das bewusst geschieht und die Auswirkungen kritisch reflektiert werden. Wer einfach Meetings streicht oder Rollen zusammenlegt, zerstört das System. Anpassung braucht Kompetenz, nicht Bequemlichkeit.
Fazit: Scrum ist nicht tot – wird aber missverstanden
Scrum ist kein Wundermittel.
Scrum ist auch kein Allheilmittel.
Scrum funktioniert dort, wo eine Kultur der Offenheit, Lernbereitschaft und Selbstverantwortung gefördert wird. Entscheidungen müssen dezentral getroffen und echte Eigenverantwortung ermöglicht werden, sonst bleibt Agilität eine Illusion.
Der Ruf nach einem "besseren" Framework ist oft Ausdruck von Frust über eine schlechte Implementierung. Doch bevor neue Methoden eingeführt werden, sollte gefragt werden: Haben wir Scrum und agil je richtig verstanden?
Scrum ist nicht gescheitert. Was gescheitert ist, ist der Glaube, dass ein Kulturwandel im Unternehmen auf Knopfdruck erfolgen kann.